Linke Parteien und Universitäten würdigen Marx als großen Philosophen. Einer, dem es nach Hegel noch einmal gelungen sei, dialektisch zu denken; ein großer Soziologe, der ein System gebastelt habe, in dem die Gesellschaft von der materiellen Basis bis zum Überbau der Ideen auf ein einziges Prinzip gebracht ist; ein großer Prophet, der die Globalisierung früh vorhergesehen habe; ein großer Utopist, der sich eine schöne bessere Welt ausgedacht haben soll.
Dass Marx selbst, wenn er gefragt würde, nichts von dem genannten Großen vollbracht haben wollte, ja sich dieses Lob verbitten würde, kann seine geistesgeschichtlichen Freunde nicht bremsen. Sie verzeihen ihm ja sogar, dass er Kommunist gewesen ist. Er selbst sah seine Leistung einzig und allein in dem, was der Untertitel seines theoretischen Hauptwerkes ankündigt: in der »Kritik der politischen Ökonomie« des Kapitalismus. Marx war, wenn irgendetwas, Ökonom. Die Wirtschaftswissenschaften allerdings haben keine gute Erinnerung an diesen Klassiker, ja eigentlich überhaupt keine. Kein Wunder. Schließlich hat er nicht nur die menschenfeindliche und absurde Rationalität des Wirtschafsystems aufs Korn genommen, das sie so vernünftig finden, er hat auch ihre verständnisvollen Theorien darüber wider- und zerlegt.
An dem Kapitalismus, den Marx in der Phase seines Entstehens analysierte und kritisierte, hat sich seit seinen Tagen dies und das, aber nichts Wesentliches geändert. Immer noch ist die Vermehrung des Geldes der beherrschende Zweck, für den gearbeitet wird — und das ist keineswegs ein geschickter Umweg zur besseren Befriedigung der Bedürfnisse; noch immer sind die arbeitenden Menschen Kostenfaktor, also die negative Größe des Betriebszwecks; noch immer findet die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der größten Quelle des materiellen Reichtums, ausschließlich statt, um Löhne zu sparen und Arbeitskräfte zu entlassen — also um den Arbeiter ärmer zu machen.
Wegen dieser Aktualität, und nur wegen ihr, verdient es der längst verblichene Denker, dass man sich seiner erinnert. Seine Bücher helfen, die ökonomische Wirklichkeit heute zu erklären. Angeboten werden ungewohnte Gedanken über Gebrauchswert und Tauschwert, konkrete und abstrakte Arbeit, Geld und Nutzen, Arbeit und Reichtum — paarweise Bestimmungen, die unsere moderne Welt nicht mehr auseinander halten kann, während sie tatsächlich die härtesten Gegensätze enthalten.
Die Studienausgabe der Marx-Engels-Werke ist online frei erhältlich. Die drei Bände von Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie
sind darin auch enthalten, und zwar als Band 23, Band 24 und Band 25. Pdf-Versionen gibt es zum Download hier.