Als Ende letz­ten Jah­res ein Boot mit afri­ka­ni­schen Flücht­lin­gen vor der ita­lie­ni­schen Insel Lam­pe­dusa sinkt, zei­gen sich Pres­se, Poli­tik und Papst ent­setzt über das unfass­bare Unglück“ mit vier­hun­dert Toten. Nur wis­sen zugleich alle, dass hier kein außer­ge­wöhn­li­cher Umstand oder Pech in schwe­rer See vor­lie­gen. Die toten Afri­ka­ner sind spek­ta­ku­lä­rer Bestand­teil der Nor­ma­li­tät: Die Welt jen­seits der Fes­tung Euro­pa“ ist eine ein­zige Kata­stro­phe, die Aber­mil­lio­nen von Men­schen das Über­le­ben so sehr ver­un­mög­licht, dass sie eine Flucht übers Meer wagen, bei der sie den Ver­lust ihres Lebens not­ge­drun­gen ein­kal­ku­lie­ren. Das ist der All­tag, und dar­über wird das Mit­tel­meer zum Massengrab.

Ret­tung Schiffbrüchi­ger, das ist vie­len Men­schen hier­zu­lande zu wenig. Sie for­dern die Auf­nahme und Ver­sor­gung der Flücht­linge mit Wohn­raum, Arbeit und Ein­kom­men. Die­sel­ben Medi­en und poli­ti­schen Instan­zen, die soeben noch ihre huma­nis­ti­sche Betrof­fen­heit über das Schick­sal der Flücht­linge her­aus­ge­kehrt haben, sind sich in ihrer Ableh­nung weit­ge­hend einig: Ehren­werte Absicht, aber völ­lig welt­fremd und undurch­führ­bar! Das ver­kraf­tet unser Land“ nicht. War­um nicht? Fehlt es im rei­chen Euro­pa an Wohn­raum und Nah­rungs­mit­teln? Die Zuge­reis­ten könn­ten doch zupa­cken und bei­des schaf­fen, wenn es dar­an man­geln soll­te. So etwas wird kei­ne Sekun­de in Erwä­gung gezo­gen. Wor­in liegt wirk­lich der Grund, der zur Ableh­nung und Abschie­bung der Flücht­linge führt?

Nicht ein­mal einer Hand­voll von Asyl­su­chen­den, die in Ham­burg oder Mün­chen mit Hun­ger­streiks oder Kir­chen­asyl auf ihre Lage auf­merk­sam machen, soll ein dau­er­haf­tes Blei­be­recht ein­geräumt wer­den. Das wäre das fal­sche Signal: Lässt man hun­dert Men­schen heu­te her­ein, ste­hen mor­gen hun­dert Mil­lio­nen vor der Tür! So argu­men­tie­ren Poli­tik und Öffent­lich­keit. Euro­pa schreibt einen gan­zen Kon­ti­nent und sei­ne Men­schen ab, und zwar aus der Pose des über­for­der­ten Sama­ri­ters, der schon mit sei­ner blo­ßen Flächen­aus­deh­nung den Aber­mil­lio­nen von Elends­ge­stal­ten nicht gewach­sen sein kann.

Die so ins Licht gerück­te Rol­le des gut­wil­li­gen, aber ohnmächti­gen Hel­fers unter­schlägt aller­dings die Haupt­sa­che, näm­lich die Rol­le des mächti­gen Täters: Euro­pa ist mit sei­nem grenzüber­schrei­ten­den Kapi­ta­lis­mus eine der wesent­li­chen Ursa­chen für die elen­de Lage der Men­schen in Afri­ka und Pro­du­zent Num­mer eins für deren Flucht­gründe. Auch dar­über soll dis­ku­tiert werden.